Universität KonstanzExzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“

Kein Fußnotenproblem

25. Februar 2011

Ausschnitt aus der Definition des Wortes Plagiat

Der Ruf des Wissenschaftsstandortes Deutschland nimmt Schaden, wenn höchste politische Stellen zu Guttenbergs Verstoß gegen die Grundregeln eines unbestechlichen Wissenschaftsbetriebs bagatellisieren.

Ein Kommentar von Wolfgang Seibel

Die zahlreichen Beispiele der wörtlichen Wiedergabe fremder Textstellen ohne jeden Zitatnachweis durch Dr. Karl Theodor zu Guttenberg in seiner Doktorarbeit sind zweifelsfrei Plagiate. Sie sind so umfangreich, dass man von einem besonders schwerwiegenden Fall sprechen muss. Die Plagiate durchziehen die gesamte Arbeit, sie haben also systematischen Charakter. Die ohne Nachweis übernommenen Textstellen Dritter sind darüber hinaus stilistisch redigiert worden, sie können also nicht aus Versehen in den Text hineingeraten sein.

Dies lässt nur zwei Deutungen zu. Entweder hat Herr zu Guttenberg diese Plagiate vorsätzlich herbeigeführt. Oder er war sich der Plagiate oder wenigstens ihres Umfangs nicht bewusst, weil die betreffenden Teile der Arbeit gar nicht von ihm, sondern von einer fremden Person (oder mehreren fremden Personen) verfasst wurden. In beiden Fällen läge ein gravierender Fall vorsätzlicher Täuschung vor. Die Universität Bayreuth hat Herrn zu Guttenberg inzwischen den ihm verliehenen Doktortitel aberkannt. 

Exemplarische Bedeutung für die politische Ethik

Der Fall zu Guttenberg hat exemplarische Bedeutung für die politische Ethik und nicht zuletzt für den Wissenschaftsstandort Deutschland. Schon Studierende – von Doktoranden ganz zu schweigen – die sich Plagiate hätten zu Schulden kommen lassen, würden an jeder deutschen Hochschule den Prüfungsanspruch verlieren und exmatrikuliert. Sie hätten also schwere Nachteile für ihren beruflichen Lebensweg und ihr soziales Ansehen hinzunehmen. Diese harten Sanktionen dienen dem Erhalt der Funktionsfähigkeit eines nur der Wahrheit und der Erkenntnis verpflichteten, unbestechlichen Wissenschaftsbetriebs.

Herr zu Guttenberg aber nimmt für sich in Anspruch, schonender behandelt zu werden als ein einfacher Student. Obwohl er, ein Mann von gesellschaftlichem und politischem Rang und durch Privatvermögen unabhängig, wesentlich weicher fallen würde als die meisten anderen in seiner Lage. Indem er sich weigert, von seinem Ministeramt zurückzutreten, bekundet er, die Nachteile nicht hinnehmen zu wollen, die jeder weniger Prominente und weniger Einflussreiche hinzunehmen hätte. Das verletzt Grundregeln des gesellschaftlichen Anstands und des allgemeinen Gerechtigkeitsempfindens. Zum Vorschein kommt eine Überheblichkeit, die Guttenbergs öffentliche Demutsgesten unglaubwürdig macht.

Die Verharmlosung des Falles gefährdet den Ruf des Wissenschaftsstandortes

Besonders irritierend sind daher die im politischen Raum zu vernehmenden Versuche einer Verharmlosung des Vorfalls, die zum Teil den Charakter einer regelrechten Irreführung der Öffentlichkeit angenommen haben. Etwa, wenn Täuschung und wissenschaftliche Unredlichkeit zu einer Frage des richtigen Fußnotensetzens verniedlicht oder wenn erklärt wird, man habe Herrn zu Guttenberg ja nicht zum wissenschaftlichen Assistenten, sondern zum Minister berufen. Bedrückend ist insbesondere, dass solche Äußerungen nicht zurückgenommen wurden, nachdem die Universität Bayreuth Guttenbergs schwere Verstöße gegen die Gebote wissenschaftlicher Redlichkeit bestätigt und ihm den Doktortitel aberkannt hatte.

Wenn höchste politische Stellen den Verstoß gegen die Grundregeln eines auf Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit beruhenden Wissenschaftsbetriebs zum Bagatellproblem erklären, nimmt der Ruf des Wissenschaftsstandortes Deutschland Schaden. Würde die Bundeskanzlerin jemanden zum Chef der Bundesbank machen, der als Privatmann das Vermögen anderer veruntreut hat? Das kann man sich nicht vorstellen.

Ebenso wenig kann man sich einen Minister vorstellen, der in seinem Privatleben der Unredlichkeit und Täuschung überführt wurde und gleichwohl die Befehlsgewalt über zehntausende von Menschen behalten soll, die in seinem Auftrag Leben und Gesundheit einsetzen. Und sicher nicht einen Minister, der als Dienstherr zweier Universitäten glaubwürdig für die Regeln wissenschaftlicher Redlichkeit einsteht, die er selbst flagrant verletzt hat.

Der Politologe Prof. Dr. Wolfgang Seibel ist Vorstandsmitglied des Exzellenzclusters „Kulturelle Grundlagen von Integration“ an der Universität Konstanz.

Der vorliegende Kommentar ist die aktualisierte und erweiterte Version eines Artikels, der am 22. Februar 2011 unter dem Titel „Die schwerwiegenden Fehler des Herrn zu Guttenberg“ im Südkurier erschienen ist.